Ein Handbuch. Herder 2021, 240 Seiten, Klappenbroschur: 20 Euro, E-Bock: 15,99 Euro.
Der Titel mutet zwiespältig an, was dieses Buch bei Leibe nicht ist; Männerwürde als Anklang zu Menschenwürde lässt aufhorchen, während Handbuch als kompaktes Wissen und Nachschlagewerk eher abschreckt. Ich habe das Buch von Seite zu Seite immer lustvoller in die Hand genommen. Der Autor versteht es mit praktischen Beispielen und wortwitzigen Formulierungen den Leser zur Selbst-Entdeckung zu motivieren.
Sein Ausgangspunkt sind die Erfahrungen seiner eigenen 71jährigen Entwicklung sowie seines Berufs als Einzel- und Gruppentherapeut für Männer; nämlich: dass viele Männer in ihrer Würde verletzt wurden und sind. Dies lässt sie verunsichert und suchend sein. Mit diesem Buch stellt er sich die Aufgabe: „Ich werde … Männer mit ihren Erfahrungen der Entwürdigung vorstellen und beschreiben, welche Schritte sie auf ihrem Weg der Würde und der Würdigung gegangen sind, … . (S. 11) Er ist der Überzeugung, dass jeder Mann seine Einzigartigkeit entdecken und wertschätzen darf, seine Art und seinen Weg von sich und anderen gewürdigt erfahren muss, soll, darf. Und umgekehrt, auch den Eigen-Sinn anderer würdigt und diesem Respekt zollen lernt.
Dieses entfaltet Udo Baer in sieben Kapiteln. Das erste dient der Beschreibung seines Anliegens wie im vorigen Absatz umrissen. Im nächsten spricht er von Entwürdigungen, die sich in der Entwicklung zugetragen haben: Prügeln bei kleinsten Vergehen; wenn nur gute Leistung zählte; bei Gewalt zwischen Eltern; Suizid in der Familie, der tabuisiert wird; wenn die Mutter sich eine Tochter gewünscht hat; Missachtung der Kinder-Meinung; Vaterlos trotz Vater; nur wahrgenommen werden als potenzieller Erwachsener… . Diese Erfahrungen zu achten, also zu würdigen, was passiert ist, und die eigene Sehnsucht zu formulieren, leiten den Leser kleine Aufgabenpausen ein. Der Not einen Ton (umgekehrte Buchstabenfolge) zu geben, ermutigt der Autor. Das 3. Kapitel ist mit „Männergefühle“ überschrieben. Erfahrene Entwürdigungen drücken sich in Gefühlen wie Scham, Angst, Ärger, Wut, Zorn… aus. Meist wurden diese Gefühle und Situationen tabuisiert, wurden untergründig, äußern sich in Müdigkeit und Überforderung. Sie zuzulassen, sie bei sich (dem Leser) zu erkennen, dazu laden unzählige dargelegte Erfahrungen ein. Die nächsten Kapitel reflektieren in dieser praktischen Erzählart des Autors davon, wie sich die Entwürdigungen in Beziehungen und Partnerschaften auswirken und was überwinden hilft (Kap 4), von „Männer-Fallen“, also Situationen und Prägungen, wo wir uns selbst entwürdigen und überfordern (Kap 5) und dem „Vater-sein“, wobei Baer hier auch sorgsam das eigene „Sohn gewesen sein“ thematisiert (Kap 6). Im letzten Kapitel – so etwas wie eine Zusammenfassung – spitzt der Autor die Erkenntnisse der vorigen Kapitel als Einladung an den Leser zu, sich selbst auf diesen Weg der Würde und Achtsamkeit, der Eigentlichkeit zu begeben. Viel Raum Eigenes zu formulieren ist hier gegeben und nimmt sich als ein Handbuch derart aus, an den eigenen Weg mit diesem Buch Hand anzulegen.
In der Vielzahl der Erfahrungen und Gesprächsprotokolle nimmt Baer den Leser mit, entfaltet eine Welt der Entwürdigung und eröffnet Wege zum Eigen sein, zur unverwechselbaren Identität. Unterhaltsam, packend, wort-witzig und ein wenig selbstverliebt gelingt es Baer einen wichtigen Beitrag zur Männer-Emanzipation zu leisten. Dass er hierbei mit einem Würdebegriff ganz ohne Gott auskommt, mag verwundern; jedoch den großartigen Ertrag dieses Buchs nicht zu schmälern.
Thomas Mozer